Die unterschiedlichen Qualitäten des Windes korrespondieren in windscapes mit Klanglandschaften der Wüste, die erst durch den Wind akustisch erfahrbar werden. Die fließenden Formen und Muster des Sandes scheinen sich ins Endlose fortzusetzen – wie die Zeit, zu deren Messung der Sand von Alters her diente.ĭer Wind unterscheidet sich durch seine ursprüngliche Richtung, den Wärme- und Trockenheitsgrad, seine Dauer und das jahreszeitliche Aufkommen – schon in der Antike wurden die über der Sahara entstehenden Winde mit verschiedenen Namen belegt: Buran, Harmattan, Schirokko, Samum etc. Das Dünenmeer und die äolischen Modulationen des Sandes erinnern an die leere Weite eines Ozeans, dessen stumme Sandwogen in einer grenzenlosen Vielfalt immer wieder aufs Neue vom Wind moduliert werden. Die Sandwüste in ihrer atemberaubenden Schönheit und Einfachheit stellt das Ideal einer durch den Wind geformten Landschaft dar. Zuerst ist ein leises, feines Rieseln zu hören – Sand rinnt durch ein Stundenglas, fokussiert die Aufmerksamkeit des Hörers, Bilder entstehen vor dem inneren Auge: Wind kommt auf, klappernde Windgeräusche schaukeln sich auf und allmählich braust das ganze Spektrum erdenklicher Windklänge durch das Stundenglas, ehe der Sturm jäh abreißt und der Hörer sich in einer ausgetrockneten Salzpfanne inmitten einer Sandwüste wiederfindet, über die Windböen vereinzelte Sandkörner treiben.ĭie Wüste als eine auf das Wesentlichste und Ursprünglichste reduzierte Landschaft, als ein Ort der Introspektion, des In-Sich-Hörens, ist der Ausgangspunkt von windscapes. Das Stück windscapes vervollständigt ein Triptychon dreier Hörbilder zum Thema nichtlinearer Dynamik. In den vorhergehenden Klangkompositionen sono taxis und dripping wurden ähnliche Phänomene in den Interaktionsmustern von Fröschen und Heuschrecken sowie in den Tropfmustern gekoppelter Wasserhähne entdeckt. Diese Musterbildungsprozesse kommen in der Natur recht häufig vor: die farbigen Muster auf Meeresmuscheln, die Zeichnungen auf dem Fell vieler Tierarten, die Elektrokonvektion in Flüssigkristallen, neuronale Aktivitäten und selbst gesellschaftliche Prozesse lassen sich mit den Begriffen der nichtlinearen Dynamik erklären. Es handelt sich bei den Dünenformationen und den Rippelmarken auf der Oberfläche der Dünen um dynamische Systeme, die sich durch Prozesse der Selbstorganisation fortwährend erneuern und zu immer wieder ähnlichen Formen und Strukturen führen. Die einfachsten physikalischen Gesetze und allein die Parameter des Windes, des Sandes und der Schwerkraft reichen, um eine grenzenlose Formenvielfalt zu generieren, die zwar mit den eingesetzten Großrechnern nachgeahmt aber nicht wirklich berechnet oder gar vorhergesagt werden konnte. Ab einer bestimmten Windstärke bilden sich spontan makroskopische Ordnungsstrukturen, die durch kollektive Prozesse auf der mikroskopischen Ebene – der des Sandkorns – verursacht werden. Hiraku Nishimori und Noriyuki Ouchi simulierten in einem mathematischen Modell, wie der Wind in der Sandwüste Sandkorn für Sandkorn bewegt und zu komplexen Mustern anordnet. Im Juli 1993 beschrieb John Maddox in „Nature“ unter dem poetischem Titel „ endless ripples on the sands of time“ die Forschungsarbeiten zweier Japaner, denen es gelungen war, die Entstehung von Dünen und Sandrippeln mit Hilfe nichtlinearer Differentialgleichungen zu beschreiben. Ausgezeichnet mit dem Karl-Sczuka-Förderpreis 2002
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